Die Sehnsucht nach der Spritze

Der TV-Sender arte hat kürzlich den Film fantastischen “Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” aus dem Jahr 1981 und einige begleitende Dokumentationen gesendet, die unter anderem das Phänomen der aufbrandenden Heroin-Sucht unter den Jugendlichen in den 70er Jahren recht konventionell zu “erklären” versuchen.

Was mir jedoch aufgestossen ist: das dringende Bedürfnis der Protagonisten, sich eine Spritze zu setzen. sich eine Spritze zu geben, zu diesem Instrument eine geradezu erotische Beziehung zu entwickeln. In so vielen Szenen spritzen sich die Jugendlichen, es ist deutlich zu sehen, wie die Nadel eindringt, wie die Droge dann wirkt. Und auch die Tätowierung, wie sie sich Christiane zufügt, vollzieht sich auf diese Weise: eine eindringende Nadel bringt eine Flüssigkeit in den Körper, hier: unter die Haut.

Unzweifelhaft hat die Injektion von Flüssigkeiten in den Körper massive sexuelle Bezüge – das Einspritzen des Samens im Orgasmus wirkt ja an sich befreiend schlechthin. Der Umgang mit der Spritze symbolisiert und imitiert diesen Ablauf: sich eine Spritze zu geben führt direkt zu einem orgasmusähnlichen Zustand und erlaubt die absolute Entspannung – zumindest für eine gewisse Zeit.

Vor diesem Hintergrund frage ich mich, ob nicht diese aktuelle Bereitschaft, sich staatlicherseits verordnet Spritze um Spritze geben zu lassen, unbewusst auch sexuell konnotiert ist, ein ähnlich entspannendes Gefühl hervorruft oder die Erwartung besteht, es würde ein solch entspanntes Fühlen sich einstellen. In diesem Zusammenhang würde dann auch deutlich, dass es in den Medien nicht genug Darstellungen gerade die Spritze empfangender Menschen geben kann, um die noch Ungespritzten zu animieren, es auch einmal zu versuchen.